Schenken – nicht kaufen bis zum Umfallen!

Hamburger Abendblatt - Debatte

Die Vorweihnachtszeit bietet eine Chance zum Umdenken. Intensive Erlebnisse mit anderen bergen das größte Glückspotenzial

CATHARINA AANDERUD

Geht es Ihnen auch manchmal so, dass Sie vollbepackt mit Einkäufen für Ihre Lieben in der Warteschlange vor der Kasse stehen, es ist heiß, das Neonlicht blendet und Sie fragen sich: „Warum mache ich das eigentlich? Warum tue ich mir das an?"

 

Solche Gedanken kommen vor allem dann auf, wenn man zu lange, zu viel oder unter Zeitdruck einkauft. Oder wenn zu viele Reize auf einen einprasseln, die um unsere begrenzte Aufmerksamkeit wetteifern. In riesigen Stapeln aufgehäufte Waren vermitteln dem Konsumenten mitunter das Gefühl, null und nichtig zu sein. Dann erstirbt der Kaufwille und die Motivation zu Schenken siecht dahin!

 

So entstehen Weihnachts-Asketen, die nichts mehr schenken und auch nichts geschenkt bekommen wollen. Ob das der Weisheit letzter Schluss ist? Ich selbst habe schon Alpträume gehabt, in denen plötzlich Weihnachten war und ich kein einziges Geschenk hatte. Für mich ist das keine Alternative.

„Die Bereitschaft zu schenken zeigt sich in jedem, der wirklich liebt" hat Erich Fromm einmal geschrieben. Schenken als Ausdruck von Liebe – und um sie geht es bekanntlich in der Vorweihnachtszeit – ist etwas Wunderbares.

 

Wer allerdings genervt durch die Geschäfte jagt, um seine Geschenkliste abzuhaken, zäumt das Pferd gewissermaßen von hinten auf. Er macht auch zu Weihnachten nur „more of the same" von dem, was er schon das ganze Jahr über macht: Kaufen bis zum Umfallen.

 

Wie öffnet man sein Herz? Wie bereitet man sich sinnvoll auf Weihnachten vor? Sich verinnerlichen und sich besinnen, so hieß das früher. Warum kommt uns das heute so kitschig und sentimental vor? Weil wir lieber Workaholics und Smartphone-Sklaven sind, die für Gefühle und Muße keine Zeit mehr aufbringen wollen?

 

Wir leben, auch weil es trendy ist,  gefangen im Hamsterrad rastloser Aktivität einseitig und bis zum Burnout das „Martha-Prinzip" – dabei hat Jesus schon vor 2000 Jahren klargestellt: „Maria hat das bessere Teil gewählt". Maria, eher verinnerlicht und kontemplativ veranlagt, strahlte innere Ruhe aus und konnte zuhören. Sie stellte das „Sein" vor das „Tun".

 

Auf die kontemplative Seite, die Ausrichtung nach innen, verstanden sich in unseren Breiten vor allem die Mystiker. Einer von ihnen, Johannes Tauler formulierte es im Mittelalter so: „Man sollte die Pfade auch im Inneren ebnen, auf sie achten und auf die Wege des menschlichen Geistes zu Gott und Gottes zu uns, denn sie sind nur mit Geschick zu begehen und verborgen."

 

Im Prinzip weiß jeder, dass die Reise jetzt nach innen gehen müsste. Und dass erfüllende Beziehungen und intensive Erlebnisse mit anderen das größte Glückspotential bergen. Wie in so vielen Bereichen haben wir auch hier kein Bewusstseins- sondern eher ein Umsetzungsdefizit!

 

Wenn wir diesen Perspektivwechsel jedoch hinkriegen, kommen wir in die so dringend benötigte innere Balance -  und in Weihnachtsstimmung! Dann werden innere Ruhe, Zeit für Gespräche und das zweckfreie Zusammensein mit anderen zu erstrebenswerten Zielen, die zumindest temporär anderen Prioritäten vorgeordnet werden.

 

Die Vorweihnachtszeit stellt hier eine echte Chance zum Umdenken dar. Schließlich sie ist die einzige Periode im Jahr, in der uralte Rituale unsere innere Haltung (unsere Herzen und Sinne, wie man es früher nannte) in eine gemeinsame Richtung lenken – während unsere Aufmerksamkeit sonst an allen Ecken und Enden für kommerzielle Zwecke zersplittert wird.

 

An diese starke Strömung kann man sich andocken, was den Zugang nach innen sehr  erleichtert und uns ermöglicht das zu leben, was wir, um zu funktionieren sonst so erfolgreich unterdrücken: Liebe, Freude, Leichtigkeit.  Wer aus diesen Gefühlen heraus schenkt, hat Weihnachten richtig begriffen. Den wird auch das Shoppen nicht so schnell ermüden, denn er wird es automatisch im richtigen Maß tun. Im Wissen, dass Zeit und Aufmerksamkeit die höchsten Güter sind, die man einander schenken kann. Das Kaufen von Geschenken kann ein Zeichen unserer Liebe sein – ein symbolischer Ausdruck unserer Gefühle- aber niemals ein Ersatz dafür.

 

Hamburger Abendblatt, 20.12.2011