Hampi Alenti – bring die Seele zurück

Schamanen-Ritual auf der Hochebene von Cusco

Don Nasario bläst behutsam in eine kleine Flasche und entlockt ihr einen Ton, der nicht von dieser Welt zu sein scheint, und sich weit über die karge Hochebene von Tipón ausbreitet. Er trägt einen schlichten Poncho um die Schultern und die für peruanische Schamanen typische bunte Mütze auf dem Kopf. „Ich rufe die heiligen Götter der Berge und Mutter Erde für unser Ritual an“, erklärt der Heilkundige in gebrochenem Spanisch, denn normalerweise spricht er nur Quechua, die Sprache der Indios.  Jetzt sitzt er einen Moment mit geschlossenen Augen reglos da, als spüre er dem Ton noch nach oder als versuche er sich mit der grandiosen Natur um uns herum zu verbinden. Dann wandert sein Blick zu den schneebedeckten Bergen in der Ferne. Apus nennen die Indios sie, heilige Berge.

 

Er lächelt uns liebevoll an. „Keine Angst! Wir holen die Seele zurück!“

Mein Mann und mein Sohn  sitzen neben ihm im stoppeligen Gras des Hochplateaus von Tipón, eine halbe Stunde von Cusco entfernt. Das Treffen mit dem Schamanen war meine Idee. Ich bin experimentierfreudig und dachte, er könne vielleicht etwas gegen meine Schlafstörungen und Rückenprobleme unternehmen und die leichte Gereiztheit, die ich während dieser gemeinsamen Reise nach Peru verspüre, gleich mit behandeln.

 

Der Manager des Hotels „Royal Inka“ in Cusco, wo wir wohnen, hatte uns ohne großes Erstaunen Don Nasario, „seinen“ Schamanen vermittelt, der ihn kürzlich von chronischen Rückenschmerzen geheilt hatte. In Cusco, was so viel wie „Nabel der Welt“ bedeutet, ist es noch heute nichts Außergewöhnliches, einen Schamanen zu konsultieren. Allen brachialen Missionierungsmaßnahmen der Spanier zum Trotz haben sich Naturreligion und Schamanismus neben dem Katholizismus behauptet – ebenso wie die alte Indio-Sprache Quechua neben dem Spanischen.

 

Der kleine, bescheiden wirkende Indio war uns Dreien auf Anhieb sympathisch. Er strahlte  gebündelte Energie, gepaart mit einer tiefen Grundfreundlichkeit, ja, Liebe aus. Als wir uns ein paar Tage zuvor auf dem Dachgarten unseres Hotels trafen, hatte er das Orakel der Coca-Blätter geworfen und eine kleine gesundheitliche Beeinträchtigung bei mir herausgelesen. Die Gegenmedizin? „Un Gaspacho“, eine Speise für Pachamama, wie die Indios die Erde nennen. Also ein Opfer. Auch den Ort, wo dies geschehen soll, hatte er aus der Lage der Coca-Blätter bestimmt, die er aus einem kleinen Beutel auf die Tischdecke schüttelte. „Hohe Berge und Wasser“, sagte er. Dann strahlte er. „Tipón! Das ist der richtige Ort für das Heil-Ritual.“ Nun sitzen wir hier, etwa 20 Kilometer nordöstlich von Cusco, der um das Jahr 1200 gegründeten einstigen Hauptstadt des mächtigen Inka-Reiches. Etwas unterhalb von uns liegen aus massiven Steinquadern erbaute Terrassen, auf denen noch die Ruinen alter Tempel stehen, daneben die heilenden Quellen. Zur Inka-Zeit war das Ensemble Teil der königlichen Gärten und schon damals ein Heiligtum.

 

Während aus den Überresten eines Inka-Tempels der melodische Gesang einer Touristengruppe  hochsteigt, bereitet Don Nasario jetzt unter leise gemurmelten Gebeten die Speise für Mutter Erde vor, die mich von meinen Störungen heilen soll. Wir schauen fasziniert zu, wie er mit ruhigen und achtsamen Bewegungen nacheinander auf einem weißen Blatt Papier etwa 30 verschiedene Zutaten verteilt, die er jeweils kleinen Päckchen entnimmt. Er bittet uns, jeweils drei Coca-Blätter und eine Nelkenblüte mit etwas Tierfett zu verkleben. Eine meditative Beschäftigung, bei der ein unruhiger Geist durchaus zur Ruhe finden kann.

Sorgfältig ordnet er diese kleinen Bouquets auf dem Papier an. Anschließend streut er auf diese blumige Basis andächtig und konzentriert Linsen, Mais, unterschiedliche Kräuter, Räuchermittel, ein Paar Wachsfiguren, die Mann und Frau darstellen, Kerzen, Liebesperlen, Konfetti, Watte, Kekse, Bänder – eine bunte Mischung, deren Durcheinander uns erstaunt. Dabei betet er die ganze Zeit weiter. „Hampi alenti – bring die Seele zurück!“, ist der wiederkehrende Refrain all seiner Gebete. Die Schamanen sehen den Grund der meisten Leiden darin, dass die Seele eines Menschen irgendwo und irgendwann verloren gegangen ist oder sich zurückgezogen hat – etwa durch ein Trauma oder einen Unfall. Als Mittler zwischen Mensch und Gott sollen ihre Gebete sie wieder in den Körper zurück locken.

 

Schließlich faltet Don Nasario die fertig zubereitete Speise für Pachamama  zusammen, verschnürt sie und klopft  uns damit von oben bis unten ab. Forschen Schrittes trotz seiner sicherlich 70 Jahre, steigt er die Terrassenstufen  herab zu den heiligen Quellen von Tipón, wo er uns alle mit frischem Quellwasser wäscht. Es hat etwas von einer Taufe und wir lachen laut und ausgelassen. Ich fühle mich so voller Energie und Lebensfreude! Don Nasario schaut uns liebevoll an. In seinem Blick spüre ich Liebe und tiefstes Urvertrauen. Wie schön! Das möchte ich gern speichern. Meinen beiden Männern scheint es ähnlich zu gehen und ich bin glücklich, dieses Ritual mit ihnen gemeinsam vollzogen zu haben. Später, wenn die Sonne hinter den Apus, den heiligen Bergen, untergeht, wird Don Nasario das Opfer für Pachamama verbrennen und damit die glückliche Rückkehr unserer Seelen besiegeln.