WELT ONLINE - Kommentar

Her mit dem Erziehungsgehalt!

Politik und Wirtschaft müssen den Wünschen der Frauen nach Wahlfreiheit nachkommen. Das geht am besten mit einem Erziehungsgehalt. Dann können Eltern selber entscheiden, ob sie mit dem Geld eine Kinderkrippe oder ihren eigenen Lohnausfall finanzieren.

Nach dem Umschwenken der katholischen Bischöfe sind nun auch die letzten prominenten Gegenstimmen zum großen Einheitschor, der das Krippen-Lied singt, verstummt. Alle politischen Bedenken gegen den geplanten Ausbau der Krippenplätze waren bereits zuvor kurzerhand abgebügelt und als „überholt“ und „rückwärtsgewandt“ diskriminiert worden.

Dabei ist es keineswegs Hysterie, wenn man angesichts der Zahl von 750.000 Plätzen für Kleinkinder zusammenzuckt, denn für die 1,3 Millionen Zwei- und Dreijährigen würde dies eine Deckungsquote von 66 Prozent bedeuten. Oder sollen die Kinder trotz Elterngeld bereits im ersten Lebensjahr in eine Krippe?

Doch solche Fragen sind vermutlich Peanuts, denn Familienministerin Ursula von der Leyen gilt als unbestritten kompetent, unsere gesellschaftliche Zukunft zu gestalten, und das obwohl über die pädagogische Qualität künftiger Krippen bislang noch nichts Genaues zu hören war. Zukunft, modern, neu – das sind die magischen Worte, mit denen sich immer punkten lässt. Einhellige Meinung, soweit publiziert: Krippenplätze? Find ich gut!

Kann man ja auch nicht wirklich schlecht finden, und sei es nur als Option für die anderen, die sie vielleicht brauchen. In einer Infratest-Umfrage im Auftrag der Tagesthemen sprachen sich jetzt 69 Prozent dafür aus, dass Mütter so lange wie möglich zu Hause bleiben sollten. Doch gleichzeitig sagten 65 Prozent, ein früher Krippenbesuch tue Kindern gut. Ja, was denn nun?

Das Land ist in dieser Frage durchaus gespalten. Ein aufmerksamer Blick in die unzähligen Internetforen, in denen derzeit das Pro und Contra von Krippenplätzen respektive häuslicher Erziehung heiß diskutiert wird, zeigt, wie verwirrend und vielschichtig die Gemengelage ist.

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Vor allem aber findet dort die in der Öffentlichkeit propagierte Pro-Krippen-Stimmung ein deutliches Korrektiv: Da wird beklagt, dass Frauen, die Kinder erziehen, keine Lobby haben; dass Kinder nur noch als Belastung betrachtet werden und emotionale Kompetenz sowie Beziehungsfähigkeit der Mütter keinen Wert mehr zu haben scheinen; dass der öffentliche Diskurs technokratisch und lieblos ist, sich nur um Managerinnen dreht, der Erziehungsarbeit von Müttern jedoch keinerlei Anerkennung zollt, als seien hier keine Managementqualitäten erforderlich; dass Müttern mit Hinweis auf die (angeblich besseren) Förderungsmöglichkeiten in Krippen die Erziehungskompetenz abgesprochen wird.

Man wundert sich, dass andererseits die Beschäftigung mit kleinen Kindern als Verschwendung von Potential bezeichnet wird, während diese doch nach dem PISA-Schock Anspruch auf beste Förderung haben. Es wird vermutet, dass der Imageverlust oder, aktiver betrieben, die Demontage von Hausfrauen und Müttern gewollt ist, weil die Wirtschaft das Kräftepotential der Frauen für sich nutzen will; dass es also gar nicht um die Interessen der Frauen geht, sondern um ökonomische Erwägungen, die denen der Familien vorgeordnet werden.

Und es werden deutliche Zweifel angemeldet, ob Frauen Kinder in die Welt setzen werden, wenn sie hinterher als Mütter so gering geschätzt werden. Auch die Vorstellung, eine Frau bekäme Lust aufs Gebären, wenn sie hinterher ihr Kind in einer Krippe deponieren kann, wird als nicht schlüssig verworfen. Gefordert werden schließlich flexiblere Arbeitsmodelle, mehr Teilzeitangebote, familienfreundlichere Unternehmen, engagiertere Väter und vor allem, immer wieder in zahlreichen Beiträgen: Ein angemessenes Erziehungsgehalt für die ersten drei Jahre, das echte, auch wirtschaftliche Wahlfreiheit zwischen Erwerbstätigkeit oder der Erziehungsarbeit zu Hause ermöglicht. Da „Honor und Honorar eng beieinander liegen“, wie es der Heidelberger Steuerexperte Paul Kirchhoff einmal ausgedrückt hat, wäre damit auch die längst überfällige Aufwertung der Erziehungsleistung verbunden.

Warum stößt der Wunsch nach einem Erziehungsgehalt auf so wenig Widerhall? Wieso läßt man die Frauen nicht selbst entscheiden, ob sie mit dem Geld eine außerfamiliäre Betreuung oder ihren eigenen Lohnausfall finanzieren? Glaubt man vielleicht, die wirtschaftlich schlechter gestellten und alleinerziehenden Mütter, auf die das Krippenangebot in erster Linie zielt, würden ein solches Gehalt sinnlos verprassen? Sind hier also schlicht Vorurteile im Spiel, wonach arm mit erziehungsinkompetent gleichgesetzt wird?

Oder folgt die derzeitige Familienpolitik in der Tat rein wirtschaftlichen Vorgaben, wie sie etwa der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und das unternehmerfreundliche Institut der deutschen Wirtschaft (IW) formuliert haben, wonach die Wirtschaft auf die "sehr gute Qualifikation der Frauen" nicht verzichten könne, weshalb eine "schnelle Rückkehr von Müttern und Vätern in den Beruf wünschenswert" sei, wie es in einem BDI/IW-Strategiepapier heißt?

Dann wären die Wünsche der Mütter nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie, um die es eigentlich gehen soll, nur vorgeschoben, denn ihr Zeitkonzept zählt nicht, ihre Emotionalität bleibt unberücksichtigt. Globalisierungsdruck und Wettbewerb erfordern flexible, ungebundene Individuen gleich welchen Geschlechts – die gefühlsmäßige Bindung an ein Kind kann da nur hinderlich sein!

An dieser Stelle folgt dann meistens der Hinweis auf die Wichtigkeit frühkindlicher Bildung als Wachstumsfaktor, verbunden mit der Forderung nach Ausbau der Krippenplätze und Ganztagsbetreuung. Passt doch alles prima! Wie in Schweden: Auch dort wurden zunächst die Nur-Hausfrauen abgewertet, ihr Vertrauen in ihre Erziehungsfähigkeit untergraben und parallel dazu massive Propaganda für eine frühe Betreuung der Kinder in Tagesstätten gestartet.

Sodann wurde den Frauen durch ein Steuersystem, das alle zur Erwerbsarbeit verpflichtet, ihre Rechte an der Betreuung ihrer Kinder entzogen. „Viele Frauen gehen nur arbeiten, weil es von ihnen erwartet wird, und nicht, weil sie ihren Job so toll finden“, entmystifiziert Helen, eine Stockholmer Musikerin, das schwedische Modell. „Uns wurde eingeredet, es sei für alle besser, unsere Kinder in eine Tagesstätte zu geben. Profitieren tut jedoch vor allem der Staat – durch unsere Steuern. So vorteilhaft ist das System für uns nicht - es gibt immer mehr, die das genau so sehen.“

Und weil das so ist, hat man in Schweden inzwischen eine Kehrtwendung vollzogen und wird Frauen, die ihre Kinder zu Hause betreuen ab 2008 ein auf drei Jahre verlängertes Erziehungsgehalt zahlen.

Warum machen wir es nicht gleich richtig – und geben den Müttern (oder Vätern), die ihre Kinder gern selbst erziehen und ihr Heranwachsen begleiten möchten, die wirtschaftliche Basis, die sie brauchen, um ihre Aufgaben einigermaßen selbstbestimmt zu erfüllen? Dringend nötig wäre in diesem Zusammenhang auch eine Erweiterung unserer Definition von Arbeit, welche die vielfältigen Leistungen von Hausfrauen und Müttern einbezieht und durch Bezahlung deutlich markiert und somit würdigt. Bis heute bleibt der Wert dieser Arbeit in der Berechnung des Bruttoinlandproduktes unberücksichtigt, vermutlich um keine Begehrlichkeiten zu wecken.

Würden Politik und Wirtschaft den Wünschen der Frauen nach Wahlfreiheit nachkommen und diese in beide Richtungen finanzieren, gäbe es keine kräftezehrenden Grabenkämpfe zwischen Erwerbstätigen und Hausfrauen mehr. Wenn Mütter – egal mit welchem Lebensentwurf – sich gesellschaftlich stärker getragen fühlen, könnte auf dieser Basis ein Grundgefühl von Sicherheit entstehen. Und das ist nun einmal die entscheidende Voraussetzung für den Wunsch, Kinder in die Welt zu setzen.

 

Catharina Aanderud
25.04.2007