Entspannung im abwärts schauenden Hund

Iyenga-Yoga in einem indischen Ashram

Natürlich haben wir uns alle ein bisschen in unseren Yogalehrer verliebt. Wenn Nanda Kumar uns mit bewussten Bewegungen seines drahtigen Körpers zeigt, wie er das Sonnengebet springt um nicht zu sagen: tanzt, himmeln ihn 30 Frauen an. „Now lets do it - jetzt ihr“, sagt er unbeeindruckt. Nachmachen können es noch am ehesten die zierlichen Chinesinnen und Japanerinnen, die ihre Körper in alle Richtungen biegen können, dabei viel kichern und den größten Anteil unserer international gemixten Yogagruppe im Dayananda Ashram stellen. Im Vergleich zu ihnen komme ich mir zunächst vor wie eine grobschlächtige Germanin, die ihre Muskeln und Gelenke erst mühsam an die minutenlang einzuhaltenden Positionen des Iyenga-Yogas gewöhnen muss.

 

„Das ist anstrengend“, jammere ich, als meine Oberschenkel nach gefühlten fünf Minuten in der Vorwärtsbeuge heftig zu ziehen und zu zittern beginnen – und das alles um acht Uhr morgens, ohne Frühstück, nach zwei Stunden Yoga! „Nein, das tut dir gut!”, lacht Nanda. Glücklicherweise gibt es Hilfsmittel wie Polster und Klötze, mit denen sich körperliche Unzulänglichkeiten wie zu kurze Arme oder Beine ausgleichen lassen. Und wer den Kopfstand fürchtet, kann sich mit Seilen kopfüber von einer Kletterwand baumeln lassen. Mein Fall ist das nicht, da übe ich lieber in mühevoller Kleinarbeit am Boden, bis ich nach drei Tagen endlich meinen ersten Kopfstand hinkriege…Zu meiner Freude sieht es Nanda, der sehr präsent und überall zugleich ist: „Ich wusste, du schaffst es!“

 

In den Pausen genieße ich den traumhaften Blick von der Terrasse des Ashrams auf den Ganges, der hier in Rishekesh, am Fuße des Himalaya und nur  250 Kilometer von seiner Quelle entfernt, noch ziemlich sauber ist. In meditativer Ruhe beobachte ich, wie Inderinnen in bunten Saris lachend und schwatzend ihre Wäsche waschen und magere Asketen mit safrangelbem Lendentuch ein Bad im heiligen Fluss nehmen.

Auf der gegenüber liegenden Seite des Ganges reiht sich Ashram an Ashram, einer exotischer aussehend als der andere. Rishikesh gilt als “Yoga-Hauptstadt“.  In den 60er Jahren pilgerten viele Musiker, unter anderen die Beatles und die Beach Boys hierher. Heute zieht die 60.000 Einwohner zählende Stadt Sinnsucher aus aller Welt an, die wie ich durch Yoga und Meditation eine Auszeit von ihrem überdrehten Alltag suchen.

 

Da Nanda ein guter Motivator ist, nehmen wir seinen strengen Drill, der mitunter an einen Kasernenhof erinnert, gern in Kauf. Und fünf Stunden Yoga, drei am Vormittag und zwei am Nachmittag, sind beileibe kein Pappenstil! Entspannung gewährt Nanda uns nur in der Position des abwärtsguckenden Hundes. Doch auch das lerne ich irgendwann während des zehntägigen Yoga-Kurses zu genießen, denn mein straffer werdender Körper, meine gesteigerte Energie und meine gute Laune signalisieren mir, dass ich auf dem richtigen Weg bin.

 

Swamiji, ein junger Mönch aus Benarsi gibt uns dafür in gelassener Haltung jeden Vormittag den nötigen philosophischen Input. In ruhigen, wohl gesetzten Worten spricht er über die indischen Veden und ihre Mahnung, äußerliches Ich und inneres Selbst nicht zu verwechseln, weil das nur ins Unglück führt. Und er erzählt uns über Patanjali, den Vater des Yoga, der davon überzeugt war, dass Yoga die effektivste Methode ist, seine negativen Gedanken im Zaun zu halten. Ich kann ihm nur zustimmen und komme aus jeder Stunde total inspiriert heraus.

 

Am fünften Tag gibt Nanda uns nachmittags „frei“, weil er bei uns Unruhe spürt. „Ich habe den Eindruck, es drängt euch zum Shopping“, sagt er ironisch lächelnd. Ich schnappe mir ein Tuc-Tuc, das mich bis an die lange, schmale und von Menschenmassen schier überquellende Hängebrücke bringt, die auf die andere Seite von Rishikesh führt. Ein tausendfacher Farb- und Sinnesrausch umfängt mich: Werbeplakate, Menschen in bunten Gewändern, Hindutempel mit märchenhaft wirkenden Figuren, jede Menge Shops, zwischen denen Kühe flanieren – alles ist chaotisch und schrill und wirkt irgendwie durchgeknallt. 

 

Ich lasse mich in der Menge treiben. Als es dämmert, sehe ich vor einer riesigen weiß angeleuchteten Krishna-Statue, die hoch über dem Ganges thront, eine große Menschenansammlung. „Aarti, Aarti“, ruft mir ein orange gekleideter Priester zu. Das abendliche Lichterritual beginnt gerade: Von Trommeln untermalte Sphärenklänge vermischen sich mit  Weihrauchduft, hell lodert das Feuer, um das sich die Priester versammelt haben. Jetzt setzen sie die Opfergaben - kleine Blumenkörbchen mit Lichtern darauf -  in den Ganges, wo sie als strahlende Punkte tanzen: Ein Bild wie nicht von dieser Welt.

 

Am nächsten Morgen um sechs Uhr treten wir wieder zum Sonnengruß an. Keine störenden Gedanken mehr!  Stattdessen sehe ich immer noch den strahlenden Krishna und die Lichter auf dem Ganges vor mir – und bringe tatsächlich so etwas wie Tanz in meine Bewegungen. „Sehr gut“, sagt Nanda und ich bin stolz auf mich und wunschlos  glücklich.