Was ist dieser Gesellschaft Fürsorge wert?

Warum wir ein Erziehungsgehalt brauchen

Selbst auf die Gefahr hin, hoffnungslos old fashioned zu wirken und ein „Auslaufmodell" zu favorisieren, liegt mir daran, die im Krippenplatz-Debakel zumeist schweigende Seite der „Nur"-Hausfrauen zu vertreten, die sich im allgemeinen nicht ungefragt zu Worte melden, weil sie den mißbilligenden Blick auf ihren Lebensentwurf inzwischen verinnerlicht haben. Anders kann man es sich kaum erklären, daß aus ihren Reihen nie lautstarker Protest erschallt, wenn sie als Auslaufmodelle, Gluckenmütter oder Luxusweibchen, die den Staat um ihre Arbeitskraft prellen, bezeichnet werden. Schon der Begriff „Hausfrau" erscheint antiquiert, weil er mit abhängig, unmündig, unemanzipiert assoziiert wird und es daher kaum vermag, die dahinterstehende Leistung adäquat auszudrücken.

Laut Einer Allensbach-Umfrage fühlen sich nur sieben Prozent der deutschen Hausfrauen und Mütter von der Gesellschaft in ihrer Rolle anerkannt – ein hinzunehmender Kollateralschaden der Emanzipation? Das wäre zu kurz gesprungen. Die sinkende Anerkennung von Hausfrauen ist vielmehr die Kehrseite einer einseitigen Erwerbsorientierung, die der Fürsorge für andere keinerlei Wert mehr einräumt. Hier liegt vermutlich auch der Hund begraben, wenn man ebenso wortreich wie konsequenzenlos den grassierenden Werteverlust beklagt. Die mehr oder weniger subtile Diskriminierung und Mißachtung sogenannter „Nur"-Hausfrauen, deren Arbeit – da nicht bezahlt – auch nicht gewürdigt wird, könnte sich jedoch mittelfristig noch als recht kostspielig erweisen – dann nämlich, wenn Hausfrauen über kurz oder lang reihenweise ihren unbezahlten Dienst quittieren und ihre verschiedenen Tätigkeiten nunmehr von bezahlten Dienstleistern übernommen werden müssen.

In welche Richtungen werden derzeit die Weichen gestellt? Läßt sich durch neue Gesetze ein Gesinnungswandel nahelegen, wonach Mütter, welche die ersten, unwiederbringlichen Lebensjahre ihrer Kinder erleben und begleiten wollen, zu ihrem eigenen Besten eines Besseren belehrt werden? Und was ist das Bessere? Die derzeitige Familienpolitik zielt bekanntlich dahin, Frauen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen, was den Wünschen einer breiten Mehrheit der Frauen sicherlich entspricht – doch wollen sie es tatsächlich gleichzeitig oder lieber nacheinander, nach einer angemessenen Auszeit, die mit einem Jahr Elterngeld für diese Option doch reichlich kurz bemessen ist? Der Begriff Vereinbarkeit täuscht leicht darüber hinweg, daß es hierbei um ein zumindest zeitweiliges Ersetzen durch eine oder mehrere andere Personen handelt, denn eine erwerbstätige Frau kann sich ja schlecht zweiteilen, um gleichzeitig bei ihrem Kind und im Beruf präsent zu sein. Wenn jetzt schrittweise immer mehr Krippenplätze für die unter Dreijährigen geschaffen werden, steht dahinter die Hoffnung, daß durch solche Maßnahmen bei uns wieder mehr Kinder geboren werden. Die Marschrichtung wird maßgeblich durch die demographische Krise mit dem Horrorszenario bröckelnder Rentensysteme vorgegeben, also letztlich aus ökonomisch Motiven heraus.

Doch das sind nicht unbedingt die Motive, die Frauen veranlassen, Kinder auf die Welt zu bringen und für sie zu sorgen, wenngleich ein Grundgefühl von Sicherheit hierfür sehr wohl erforderlich ist. Erziehen, Beraten, Moderieren und Schlichten, die emotionale und intellektuelle Begleitung aller Familienmitglieder – kurz: Coaching – ist in den heimischen vier Wänden kostenlos, wovon im übrigen nicht nur der Ehepartner, sondern auch eine Reihe anderer Personen aller Alterstufen profitieren, die sich gern in der Behaglichkeit einer gepflegten Häuslichkeit aufhalten oder ihre Kinder dort vorübergehend deponieren. Haushalte sind bisher noch Überlebensnischen in einer durchkommerzialisierten Lebenswelt.

Wenn jedoch – wie im Prinzip erwünscht - alle Frauen erwerbstätig sind (vorausgesetzt, es gäbe überhaupt ausreichend Arbeitsplätze) wird es, das sagt der gesunde Menschenverstand, künftig weniger oder keine kostenlose Fürsorge von Frauen mehr geben. Statt dessen wird man Koch- und Betreuungsassistenz in Kindergärten, Nachhilfe- und Aushilfslehrerinnen an Schulen, das Servicepersonal in der Schulkantine, die häusliche Alten- und Krankenpflege sowie alle ehrenamtliche Tätigkeiten in Nachbarschaft, Kirchen und Kommunen sukzessive mit bezahltem Personal bestücken müssen. Schon heute besteht für viele dieser Aufgaben ein eklatanter Nachwuchsmangel und damit in Zukunft – es sei denn, man löchere das immerhin noch bestehende informelle soziale Netz weiter aus – ein erhöhter Finanzierungsbedarf.

Anders ausgedrückt: Damit würde schließlich die Leistung, die zuvor Hausfrauen oblag und unsichtbar war, durch Bezahlung deutlicher markiert. Und somit anerkannt – denn Anerkennung läuft bekanntlich nur über Bezahlung. Dies entspricht dem Prinzip der Marktwirtschaft, Leistungen, die zuvor unendgeldlich und im gegenseitigen Austausch erbracht wurden, in Erwerbsarbeit zu umzuwandeln – wie bereits mit vielen Leistungen geschehen, die früher im häuslichen Bereich erbracht wurden (wie Alten- und Krankenpflege oder, etwas schillernder, in jüngerer Zeit auch Partyservice und Eventmanagement) und inzwischen zu bezahlten Dienstleistungen geworden sind. Nach Schätzungen von Sozialwissenschaftlern sind bislang etwa die Hälfte aller in unserer Gesellschaft anfallenden Arbeiten in Erwerbsarbeit transformiert worden, die andere Hälfte wird nach wie vor unendgeldlich geleistet. Das Ganze ist geschlechtsspezifisch so verteilt, daß Männer überwiegend bezahlter Erwerbsarbeit nachgehen, während Frauen überwiegend nichtbezahlte Tätigkeiten leisten – Familienarbeit, Hausarbeit, Ehrenamt. Nach sozialer Gerechtigkeit und innerer Balance zwischen den Geschlechtern klingt das kaum.

Da nur wertgeschätzt wird, was etwas kostet (und Dinge, die umsonst sind, für selbstverständlich und wertlos erachtet werden), erhebt sich die Frage, warum Hausfrauen (oder –männern) kein Gehalt für ihre Arbeit gezahlt wird. Das würde ihre Tätigkeit, auf die unser Wirtschaftssystem, um zu funktionieren in höchstem Maße angewiesen ist, mit Sicherheit attraktiver machen. Mit dem Elterngeld ist der erste Schritt hierzu ja längst geschehen. Er wird jedoch vermutlich nicht ausreichen, um diesem Land den erwünschten Kindersegen zu bringen und die sozialen Netze vor noch größerer Brüchigkeit zu bewahren.

Werfen wir einen Blick über den Tellerrand, gen Norden. In Schweden, dem Musterland einer gelungenen Sozialpolitik zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, gibt es faktisch keine Hausfrauen mehr. Alle Erwachsenen sind verpflichtet, einer Erwerbsarbeit nachzugehen, denn sie ist Voraussetzung dafür, staatliche Leistungen wie die Betreuung von Kindern in öffentlichen Einrichtungen oder die Übernahme von Kosten im Krankheitsfall in Anspruch nehmen zu können. Kinder werden spätestens mit eineinhalb Jahren in einer öffentlichen Kindertagesstätte betreut (obgleich viele Mütter dies in den ersten drei Jahren lieber selbst täten), wo sie von sieben bis 18 Uhr bleiben können. Dort gilt ihrer psychischen und sozialen Entwicklung besondere Aufmerksamkeit von Seiten der sehr gut ausgebildeten (und schlecht bezahlten) Erzieherinnen. Dennoch ist man sich darüber bewußt, daß vor allem sensible Kinder darunter leiden, daß sie in zu großen Gruppen betreut werden (sechs Kleinkinder von einem Erwachsenen), was sich an einer deutlichen Zunahme psychischer Störungen zeigt. Ich schrieb Erzieherinnen, denn Schweden hat zwar keine Hausfrauen mehr, dafür aber den geschlechtsgetrenntesten Arbeitsmarkt der Welt. Etwas verkürzt ausgedrückt arbeiten die Männer in den traditionellen Wirtschaftsbranchen, Frauen hauptsächlich im Fürsorgebereich. „Bei uns gibt es viele Frauen, die nur arbeiten gehen, weil es von ihnen erwartet ist, aber nicht, weil sie ihre Arbeit so spannend finden", sagt Helen, eine Stockholmer Musikerin. „Ich empfinde es jedoch als sinnlos, Frauen zu zwingen, einer Arbeit nachzugehen, die ihnen gar nicht gefällt, während jemand anders auf ihre Kinder aufpaßt!"

Ähnliche Gedanken kursieren auch bei uns. „Warum soll das Betreuen fremder Kinder sinnvoller sein, als wenn ich zu Hause meine eigenen erziehe?", fragte eine frühere Erzieherin, seit einigen Jahren Mutter und Hausfrau bei einer angeregten Diskussion mit Freundinnen über dieses Thema. „Nur weil ich dafür Geld bekomme?"

Auf der anderen Seite ist es ja keineswegs so, daß an den deutschen Kindergärten durchweg paradiesische Verhältnisse herrschen. „Als ich meine Kinder fragte, ob sie gern in den Kindergarten gegangen seien, hat dies nur eines von dreien bejaht", sagt Gudrun Schröder, heute Hausfrau, früher Außenhandelskauffrau. „Und das hauptsächlich deswegen, weil die Bedingungen optimal waren, denn zwei superengagierte Erzieherinnen betreuten eine kleine Gruppe von zwölf Kindern." Eine rühmliche Ausnahme, denn der durch den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz erforderliche Ausbau wurde häufig durch eine Absenkung von Standards, also eine Erhöhung der Gruppengröße, finanziert. Man 3 kann nur hoffen, daß die nun anstehende Erweiterung des Platzangebots für die unter dreijährigen Kinder nicht ebenfalls auf Kosten der Qualität erfolgt.

Würde das Kindeswohl nicht erst in der Scheidungsgesetzgebung, sondern bereits viel früher an erste Stelle gesetzt, käme unweigerlich die Frage auf, warum bei der heiß entflammten Diskussion um Krippenplätze – die eigentlich eine unzulässige Verkürzung viel grundsätzlicherer Werte-Fragen darstellt – nicht psychologische Studien zur Rate gezogen werden. Untersuchungen aus israelischen Kibbutzim legen nahe, daß eine allzu frühe Gruppenbetreuung Bindungsschwäche und emotionale Probleme begünstigt. Die schwedische Autorin Anna Wahlgren, eine Kritikerin des schwedischen Modells, spricht sogar von einer Neigung zu Depression und Drogensucht.

Letztlich geht es jedoch nicht darum, die familiäre Betreuung gegen die institutionelle auszuspielen, denn faktisch hat sich ja längst eine je nach Familiensituation variierende Mischung aus beidem etabliert. „Eine neue Kultur des Aufwachsens in unserer Gesellschaft muss auf beide Säulen, die Familien und die Tageseinrichtungen setzen", meint der Berliner Erziehungswissenschaftler Wolfgang Tietze. Wichtig sei ein gesellschaftlicher Konsens, in beiden Bereichen die pädagogische Qualität zu sichern und gleichzeitig die dafür erforderlichen materiellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Wenn nur die außerhäusliche Betreuung finanziell unterstützt wird, fehlt jedoch – insbesondere den sozial schwachen –Eltern in den ersten Lebensjahren ihres Kindes de facto die Wahlfreiheit.

Bei uns gibt zur Zeit weder Konsens noch Klarheit über unsere Prioritäten. Wir stehen im Prinzip ganz am Anfang einer umfassenden Wertedebatte – was Kinder und deren Erziehung uns wert sind und wie Arbeitszeit mit Familienzeit vereinbar gemacht und zwischen Männern und Frauen verteilt werden soll.

Während Frauen in den vergangenen Jahrzehnten zumindest die unteren und mittleren Etagen der Berufswelt erobert haben, und dabei versucht haben, Erwerbstätigkeit und Fürsorge für andere – in welchem zeitlichen Verhältnis auch immer – zu kombinieren, zeigten die Männer bisher wenig Neigung, in das sich ihnen dadurch eröffnende Erziehungsvakuum einzuscheren. Mehr noch: Häufig ist die resignierte Erkenntnis vieler Frauen, letzten Endes immer allein für Kinder und Haushalt zuständig zu sein, ausschlaggebend für ihren Entschluß, ihren Beruf an den Nagel zu hängen und zu Hause zu bleiben, um sich nicht der anstrengenden und zermürbenden Doppelbelastung zu unterziehen.

Es war übrigens der Künstler Joseph Beuys, der 1972 während der „documenta 5" ein Hausfrauengehalt und die Anerkennung der Haushaltstätigkeit als Beruf forderte, weil er der Meinung war, diese Diskussion werde „den ganzen sozialen Organismus beleuchten, wird etwas aussagen über unsere ökonomische Struktur. Das ist doch zwangsläufig, dass man über diesen Weg erst in die Debatte kommt wie bei uns mit Volksvermögen umgegangen wird." Sein Ausgangspunkt war simpel: „Ist die Hausfrauenarbeit Leistung oder ist sie keine Leistung? Wenn man dazu kommt, sie als Leistung zu erkennen, muss sie abgegolten werden."

Das ist keineswegs eine weltfremde Forderung. Politiker wie Kurt Biedenkopf haben sie bereits vor einem Jahrzehnt auf dem ersten „Europäischen Kongress zur Aufwertung von Familienarbeit" erhoben. Da die männliche Bevölkerung bis heute nicht bereit sei, „an der Familienarbeit gleichberechtigt teilzunehmen", finde somit „kein gleichwertiger Austausch zwischen den beiden Tätigkeitsfeldern statt", also keine ausgewogene Verteilung von Erwerbs- und Familienarbeit zwischen den Ehepartnern. „In dem Maße, in dem ein solches Umdenken stattfinden würde, würden dann schon die Männer dafür sorgen, daß das Ansehen der Familienarbeit zunimmt. Weil wir aber noch nicht so weit sind, muß die Erwerbsarbeit in die Familie kommen", so Biedenkopf. Sein Resümee: „Das Erziehungsgehalt als materielle Anerkennung halte ich für notwendig."

Mit einem Hausfrauengehalt gäbe es für Frauen endlich einen akzeptablen Rentenanspruch statt Altersarmut, sie könnten sich Dienstleistungen oder Konsumgüter kaufen, wodurch die Nachfrage angekurbelt und Tausende von Arbeitsplätzen entstehen würden. Wirtschaftswissenschaftler wie der bekannte John Galbraith erkannten bereits Mitte des letzten Jahrhunderts, daß es ein Wirtschaftswachstum nur durch Frauen gibt.

Wenn Hausfrauen dagegen weiterhin die ihnen gebührende soziale Anerkennung, ja, Würde verwehrt bleibt, werden letzten Endes immer mehr informelle soziale Netze kaputt gehen, wird der Kitt unserer 4 Gesellschaft weiter bröckeln, werden Traditionen und Werte weiter den Bach herunter gehen. Fastfood statt Festessen! Fernsehen statt Familienfeiern! Fun statt Verpflichtungen! Dann kann das Leben für junge ebenso wie alte Menschen sehr ungemütlich werden, denn wir sind eben nicht unser ganzes Leben lang autarke Individuen, die einander nicht brauchen, sondern bleiben auch in der modernen Gesellschaft aufeinander angewiesen, auch wenn dies, aufgrund der unendgeldlichen Arbeit, die Frauen leisten, weitgehend unberücksichtigt bleibt.

 

Catharina Aanderud