Seien wir doch mal suboptimal und locker

Hamburger Abendblatt - Debatte

Wir können vieles verbessern. Aber der ständige Appell zur Selbstoptimierung ist die sicherste Methode, im Burn-out zu enden

CATHARINA AANDERUD

 

Es gibt Wörter, die man wegen ihrer inflationären Verwendung irgendwann nicht mehr hören mag. "Optimieren" ist so eines. Irgendwie hat es sich vor einiger Zeit ganz allmählich in unsere Alltagssprache geschlichen und dadurch für unglaublich viel "Optimierungsbedarf" gesorgt. "Verbessern", wie dasfrüher hieß, klingt bei Weitem nicht so schick und ganz und gar nicht trendy. Zumal man diesem altmodischen Wort nur allzu sehr den Druck, den es ausübt, anmerkt - und dagegen würde ja heute jeder halbwegs aufgeklärte Mensch rebellieren.

 

Nun also optimieren! Das Wort kommt übrigens aus der Wirtschaftsmathematik, und allein das sollte einem zu denken geben, bevor es einem all zu leicht über die Lippen kommt. Denn mit der Wirtschaftsmathematik ist nicht zu spaßen! Hochkomplizierte Materie! Optimierung bedeutet hier, "optimale Parameter eines meist komplexen Systems zu finden". "Optimal" wiederum bedeutet, dass "eine Zielfunktion minimiert oder maximiert wird", erfährt man weiter. Im Endeffekt geht es dabei meistens um die Steigerung von Gewinn oder Umsatz einer Firma.

 

Natürlich lassen sich auch Arbeitsabläufe hervorragend optimieren, Ziel ist hier die Effizienzsteigerung. Demgegenüber produzieren "suboptimale" Prozesse schlechte Ergebnisse, hohe Kosten und unzufriedene Kunden. Zur Erleichterung der Unternehmensführung wurde jetzt auch die "Zieloptimierung" eingeführt, die weit über die konventionelle Zielvereinbarung hinausgeht und Mitarbeiter ganz besonders motivieren soll. Klingt eher nach besonders subtilem Druck.

 

"Das Potenzial zur Selbstoptimierung schlummert in jedem von uns. Selbstoptimierung wird zur Kernkompetenz all derjenigen, die ihre Zukunft nicht nur bewältigen, sondern mitgestalten wollen", heißt es etwas schwülstig auf der Website eines Trainer-Netzwerks. Macht ihr nur, möchte mansagen - aber leider müssen wir unsinzwischen überall mit der "Selbstoptimierung" herumschlagen. Du hast dein Leben selbst in der Hand, nun optimier mal schön!

 

So etwa lautet der moderne Imperativ, dem wir alle unterstellt sind. Alles ist möglich - alles ist formbar. Männer können weiblicher, Frauen männlicher werden. Reich, berühmt und glücklich werden können auch alle, vom Prinzip her zumindest. Schwere Kindheit, schlechte Gene, schwieriges Schicksal? Egal, du kannst dich ändern! Persönliche Schwächen, früher auch als "liebenswert" bezeichnet, sind geradezu mega-out. Allenfalls brauchbar als Indikatoren für weiteren Optimierungsbedarf, um in der durchgesetzten Wettbewerbsgesellschaft zu bestehen, wo grundsätzlich jeder gegen jeden antritt - auch und gerade im Freizeitsektor. Genug ist nie genug! Ob Körper oder Seele, mittels Diäten, Fitness oder Wellness - überall, aber ganz besonders auf der Spielfläche des eigenen Körpers kann sich der Selbstoptimierungsdrang austoben.

 

Die glatt retuschierten Models in den Hochglanzzeitschriften machen es als Trendsetter schließlich vor. Nach der Geburt eines Kindes hat der Bauch innerhalb kürzester Frist zu verschwinden - mit Pilates und viel Gemüse sollte dies möglich sein. Selbstdisziplin optimieren! Krähenfüße, Altersflecken, Fetteinlagerungen - muss nicht sein,da kann man mit ärztlicher Hilfe noch was optimieren!

 

Besser zu werden und sich weiterzuentwickeln ist ja durchaus ein gutes und sinnvolles Anliegen - wenn es aus einem selbst kommt und man selbst auch die Ziele bestimmt. Doch die munteren Optimierungs-Appelle von außen wirken eher als unterschwelliger Zwang, der sich nicht als das gibt, was er ist, und gerade deshalb ungestört in unser Innerstes trifft: So wie du bist, bist du nicht gut genug!

 

Und so arbeiten wir als rastlose Neu-Designer und Erschaffer unser selbst gegen die Natur und gegen uns selbst. Und wundern uns dann, wenn uns dieses fabelhafte Selbstoptimierungs-Programm in die Spirale von Selbstausbeutung und Burn-out treibt. Wo bleibt die Demut? Kismet - sagen die Muslime, wir haben eben nicht alles in der Hand! Vielleicht hilft uns diese gesellschaftspolitisch überhaupt nicht korrekte Sicht der Dinge, mal ein bisschen suboptimal entspannt und locker zu bleiben?


Catharina Aanderud ist freie Autorin in Hamburg und veröffentlichte 2011 ihr Buch "Weniger wäre mehr. Auf der Suche nach dem eigenen Maß"


Hamburger Abendblatt, 12. Juli 2012