Altruismus

„Ich und mein Magnum!" – „Mein Haus, mein Auto, mein Boot!" - „Unterm Strich zähl Ich!" Entsprechen solche Werbebotschaften überhaupt noch dem Zeitgeist? Wohl kaum. Denn globale Finanzkrise und Gierdebatte haben längst ein Umdenken in Gang gesetzt. Egotrip und Selbstsucht sind „out", weil sie uns in eine ökologische und ökonomische Sackgasse geführt haben. Stattdessen wird jetzt überall, auch seitens der Wirtschaft, intensiv über Altruismus nachgedacht, geredet und geforscht. Und gehandelt: Vierzig Milliardäre rund um Mikrosoft-Gründer Bill Gates und den Investmentpapst Warren Buffett wollen die Hälfte ihres Vermögens für wohltätige Zwecke spenden. An der Universität Stanford haben Hirnforscher zusammen mit dem Dalai Lama ein Zentrum für Mitgefühl- und Altruismus-Forschung gegründet. Ihr Ziel: herauszufinden, wie selbstloses Handeln und Mitgefühl entsteht und wie man es fördern kann. Zahlreiche Bücher sind zu dem Thema erschienen, von Autoren wie Jeremy Rifkin, David Precht und Stefan Klein (s. Interview).

Vertrauen, Altruismus und Mitgefühl sind nach Meinung vieler Forscher, wie dem Ökonomen Ernst Fehr von der Uni Zürich, Grundvoraussetzung für Wohlstand und wirtschaftlichen Erfolg: „Wo immer Egoisten auf den Plan treten, bricht Kooperation zusammen.". Umgekehrt führe altruistisches Verhalten zu besonders tragfähiger Zusammenarbeit und damit Erfolg.

Jahrelang behaupteten Wirtschaftswissenschaftler das glatte Gegenteil. „Jeder ist sich selbst der Nächste - der Mensch strebt stets nach seinem persönlichen Vorteil", hieß es. „Unser Wohlstand folgt aus dem egoistischen Handeln jedes Einzelnen." Kaufen – Haben – Besitzen.

Unterm Strich hat uns dieser ichbezogene Lebensstil allerdings einsam und beziehungslos gemacht.

Steigende Depressions- und Burnout-Raten sind die Kosten für einseitiges Karriere- und Ellenbogendenken. Das ist nicht unbedingt selbst gewählt, sondern auch Folge einer Arbeitswelt, die dem Einzelnen ein hohes Maß an Flexibilität und Mobilität abverlangt. Wer ständig Überstunden schiebt oder alle paar Jahre umzieht, kann weder ein entspanntes Familienleben noch langfristige Freundschaften aufrecht erhalten. Zu viel für anderen da zu sein, wird schnell zum Karrierehindernis.

Doch überzogenes Hecheln nach Erfolg lässt unser Sozialleben unter die Räder geraten und damit die emotionale Sicherheit und Geborgenheit der Gemeinschaft, die wir brauchen. Inzwischen wird immer mehr Menschen klar: Wer sich auf andere einlässt und für sie da ist, erlebt Glücksgefühle, die weder Konsum noch Karriere bieten können. Dies könnten wir von traditioneller lebenden, meist ärmeren Gesellschaften rund um den Globus lernen. In Clans und Großfamilien haben die Beziehungen zwischen den Menschen und das Gemeinschaftsgefühl noch einen höheren Wert als der persönliche Vorteil, wird eher das Gemeinsame als das Trennende betont.

Vertrauen und Liebe – statt Angst und Gier – sind eben doch die stärksten Kraftquellen für ein glückliches Leben. Und dafür brauchen wir die anderen, Familie, Freunde oder auch völlig Fremde. „Der Mensch ist ein Gemeinschaftstier", erkannte schon Sokrates. Sicherheit und Geborgenheit, Lebensfreude und Lebenssinn erleben wir nur im Austausch mit anderen - egal ob wir unvoreingenommen zuhören, Vertrauen schenken, Erlebnisse miteinander teilen oder uns ehrenamtlich für ein Hilfsprojekt engagieren. Die positive Seite von Krise und wirtschaftlicher Ungewissheit ist der neue Trend zum Miteinander, die neue Balance zwischen Ich- und Du-Werten – und wir sind mitten drin in diesem Prozess.

 

Catharina Aanderud