Interview mit Achill Moser

Seit 30 Jahren durchquert Achill Moser zu Fuß oder mit Kamelen die Wüsten der Welt – „in einer Geschwindigkeit, in der die Seele Schritt hält“ und legte dabei mehr als 20.000 Kilometer zurück

 

Was haben Sie empfunden, als Sie das erste Mal die Wüste sahen?

 

Das war mit 17 Jahren in Marokko. Der Anblick der unendlich weit reichenden Sanddünen war für mich einfach überwältigend. Ich empfand ein intensives Glücksgefühl, es war wie eine Offenbarung und ich fühlte mich sofort zu Hause, als sei ich schon einmal dort gewesen. Damals konnte ich nicht erklären, weshalb ich so berührt war. Statt dessen bin ich jedes Jahr wieder in die Wüste gefahren, um mit Tuareg und Beduinen unterwegs zu sein und herauszukriegen, was mich so faszinierte.

 

Und haben Sie die Antwort gefunden?

 

Bei Filmen wie „Laurence von Arabien“ hatte ich vorher schon gemerkt, dass die Wüste mich magisch anzog – und so war es dann auch in der Realität. Das Meer ohne Wasser, wie die Beduinen die Wüste nennen, ist durch die vielen Dünenformen, die je nach Tageslicht in anderen Farbtönen schimmern, unglaublich spannend. Faszinierend ist auch der Sand, der sich im Morgen- und Abendlicht in den wunderbarsten Farben und Schattierungen zeigt. Vor aber allem ist der Sternenhimmel einfach überwältigend – Millionen von Sternen über einem, darunter im Schlafsack übernachten zu können, ohne Zelt, ist einfach grandios. Diese Abgeschiedenheit, Einsamkeit und Stille…

 

Wie kommen Sie mit der Einsamkeit zurecht?

 

Als junger Mensch konnte ich damit nicht gut umgehen, sie hat mich erschüttert und oft habe ich bitterlich geweint, weil ich sie einfach nicht aushalten konnte. Das muss man erst lernen – wer kann sich schon über Wochen und Monate selbst aushalten! Wir leben in einer Welt von Ablenkungen und dann ist da plötzlich nur Stille. Deshalb gehört auch Mut dazu, in die Wüste zu gehen, nicht wegen der Sandstürme, das ist gar nicht das Entscheidende. Die größte Macht der Wüste ist ihre Einsamkeit. Weil wir die nicht gewohnt sind. Heute macht sie mich glücklich. Für mich ist die Wüste ein guter Ort, um ohne Ablenkung zu mir selbst zu finden und meinen Akku aufzuladen.

 

Beim stundenlangen Gehen durch die Wüste gehen einem sicher viele Gedanken durch den Kopf. Wie gehen Sie damit um?

 

Gehen ist für mich eine Form der Meditation. Wenn ich nach einigen Tagen meinen Rhythmus gefunden habe, gibt es zwei Arten von Gehen: Gehen, um zu denken und Gehen ohne zu denken. Bin ich länger unterwegs, kann ich gehen ohne zu denken, fast meditativ und dabei eine große innere Leere erreichen, was sehr schön ist.

 

Ist das nicht öde?

 

Am Anfang vielleicht ja, weil man gewöhnt ist, über bestimmte Sachen nachzudenken. Aber Leere wird ja im Buddhismus als eine Art von Glücksempfinden betrachtet. Das geht nicht von heute auf morgen, aber es passiert. Dann sind meine Gedanken nur auf den nächsten Schritt fokussiert und auf die Schönheit der Natur um mich herum, die ich sehr bewusst wahrnehme. Manchmal, wenn die Landschaft sehr monoton ist, kann man sich allerdings auch in Gedankenschlaufen verheddern oder sich in melancholische Löcher herein denken.

 

Und wie kommt man da wieder aus?

 

Indem man aufhört zu gehen und etwas tut – ein Zelt aufbauen, Fotos machen, Feuerholz suchen, den Kopf ablenken von dem, was einen belastet.

 

Was bedeutet die Wüste eigentlich für Sie – ist es Freiheit und Unabhängigkeit?

 

Mit Freiheit das was zu tun. Für mich bedeutet Freiheit, dass ich all die Dinge tun kann, die sich mir im Leben bieten. Freiheit liegt eigentlich immer hinter den Mauern, die wir uns selbst errichten. Aber die muss man natürlich erst einmal erkennen…

 

Und dabei ist die Wüste hilfreich?

 

Für mich ja, denn ihre enorme Weite zeigt mir meine innere Enge und Beschränkung und öffnet mich. Du gehst ja nicht nur durch die äußere, sondern auch durch eine innere Wüste, ein Stück unbegangenes Gefühlsland, das jeder von uns in sich trägt, und in das wir uns nicht gern reintrauen. Die Wüste weitet den Blick, sodass wir uns auch unliebsamen Themen gelassener zuwenden können.

 

Was haben Sie von den Beduinen gelernt?

 

Viel! Sternenkunde, um mich orientieren zu können, wo man Wasser oder den richtigen Lagerplatz findet, wie man mit Schlangen umgeht, welche Skorpione gefährlich sind. Anfangs haben die Beduinen gelacht, weil ich so unrhythmisch ging. Wenn du länger unterwegs bist, musst du lernen, wie ein Kamel zu gehen, immer im selben Rhythmus. Sie haben auch über meine Klagen gelacht - Wehwehchen aufzuzählen kennen die nicht. Sie klagen nicht, sondern nehmen ihr Leben hin. Die Tuareg sagen: Du musst zum Stein werden. Also lernen, alle deine Schwächen und Schmerzen zu ertragen und auszublenden.

 

Welche Werte der Nomaden sind anders als unsere?

 

Sie reduzieren sich stärker auf das Wesentliche, sie kommen mit weniger aus. Gläubige Beduinen der Sinai-Wüste gehen einmal im Jahr allein in die Wüste, um sich ihrem Glauben zu widmen. Als Faustregel gilt, dass sie nur 15 Teile mitnehmen sollen, mehr würde sie nur ablenken.  Dadurch entsteht eine ganz andere Form von Intensität. Das hilft auch zu unterscheiden, was wichtig und was unwichtig ist. In der Wüste sind Wasser, Brot und abends ein Lagerfeuer wichtig sowie Menschen, die mit dir reden – die einfachen Dinge des Lebens, die glücklich machen. Vor allem beeindruckt mich die Hilfsbereitschaft der Menschen, ihre achtsame und respektvolle Art. Ob ich zu den Beduinen in Tunesien oder den Tuareg in Mali komme – sie sind für mich da, aufmerksam und voller Freude, obwohl sie ganz elementare Probleme haben. Sie nehmen sich nicht so wichtig und sind authentischer. Der gemeinschaftliche Gedanke ist bei ihnen sehr viel stärker verwurzelt als bei uns. Und sie lachen auch viel mehr!

 

Was war ihr schönstes Erlebnis in der Wüste?

 

Eine Reise mit meinem Sohn Aaron in die Wüste Sinai, als er 14 Jahre alt war. Wir verbrachten die Nacht ganz allein unter freiem Himmel auf dem Mosesberg. Plötzlich stand Aaron auf, sah den wunderbaren Sternenhimmel und streckte seine Arme aus. Er konnte dieses millionenfache Leuchten kaum fassen und sagte: „Hier oben ist es noch stiller als still.“ Es war wirklich ein Augenblick absoluter Stille. Dass er das so intensiv spürte, war für mich ein großes Erlebnis.

 

Wird man in der Wüste demütiger und dankbarer?

 

Ja. Ich bin dankbar für die Erfahrungen, die ich in der Wüste machen konnte, weil ich das Gefühl habe, so reich beschenkt zu werden: in der Reduzierung auf das Wesentliche, durch menschliche Kontakte und Hilfsbereitschaft, durch die wunderbare Landschaft. Und durch das Unvorhergesehene, das einem in der Wüste begegnet, sei es in Form anderer Menschen, Tiere oder toller Dünenformationen. Dazu gesellt sich eine Art religiöser Demut, weil ich weiß, dass ich eigentlich nichts dafür tue, außer dass ich offen dafür bin.

 

Sie schreiben in Ihrem Buch: Jede Reise ist auch eine spirituelle Reise…

 

Jesus, Moses und Mohammed haben lange Zeit in der Wüste verbracht, weil sie ein Ort ist, das spürt man auch selber, der dich einfach auf dich selbst zurückwirft. Du musst dich mit dir selbst auseinandersetzen, mit dem was echt und unecht an dir ist. Die Wüste zeigt dir, wer du bist – auch deine Schwächen. Nicht umsonst heißt es: Jeder der in die Wüste geht, kommt als ein anderer zurück. Weil der Veränderungsprozess so enorm ist.

 

Was genau ist es, was sich verändert?

 

Wir sind konfrontiert mit uns selbst und suchen nach unserer Seele, wozu uns im Alltag die Zeit fehlt. Was ist die Seele? Ein Vakuum, das ausgefüllt sein will. Das ist vor allem in der Einsamkeit möglich, wenn du mit dir allein bist. Es braucht Zeit und Raum, aber plötzlich öffnet sich in einem etwas. Wenn man bereit ist, sich auf diese Öffnung einzulassen, erfährt man etwas über sich selbst. Das ist nicht immer nur positiv! Aber es ist ja auch bereichernd, schwache Seiten von sich kennen und akzeptieren zu lernen.

 

Es geht bei dieser Suche nicht um Nabelschau,  sondern der eigenen Essenz auf die Spur zu kommen?

 

Ja, etwas zu suchen, was uns beseelt und befreit. Wüste ist ein Raum, der einen befreien kann. Es kommen einem plötzlich Gedanken, die man woanders nicht denkt. Ich fühle mich seit Jahren nicht mehr allein, sondern spirituell unterstützt. Das finde ich nur in der Wüste, ich weiß nicht, ob man es Gott nennen könnte, auf jeden Fall gibt es mir einen enormen Motivationsschub für das, was ich mache.

 

Wie verkraften Sie die Umstellung von Wenig und Weite zu Viel und Fülle?

 

Inzwischen weiß ich beide Seiten zu schätzen. Das Pendeln zwischen den Welten ist für mich ein Geschenk und ungemein Horizont erweiternd. Ich würde nicht gern nur als Nomade leben, ich schätze hier den Komfort, gehe gern ins Theater und in die Oper. Wir leben hier auf einer unglaublichen guten Seite des Lebens und haben alle Möglichkeiten. Vielleicht weiß ich sie stärker zu schätzen, weil ich viele Monate im Jahr sehr reduziert lebe

 

Und warum unterziehen Sie sich Jahr um Jahr diesen Strapazen?

 

Begeisterung und Leidenschaft fragt nicht nach Sinn und Zweck! Man macht es, weil man unglaubliche Lust darauf hat. Diesen Gedanken habe ich aus der Wüste mitgenommen. Die Menschen dort haben sehr wenig zum Leben – aber sie lachen viel und sind glücklich! Weil sie mit einer unglaublichen Leidenschaft und Begeisterung leben. Wüste hat etwas mit Sinnsuche zu tun. Die Nomaden, die reduziert leben, erkennen auch relativ schnell ihren Sinn. Sie haben ihren Glauben und wollen nichts anderes als ein bisschen arbeiten, heiraten, eine Familie gründen und einfach glücklich sein.

 

Während wir hier mit all den Waren geködert werden, für die wir Dinge tun, die uns unglücklich machen…

 

Ja, und da stellt sich die Frage: Brauchen wir das, ist das eigentlich sinnvoll? Nachdem wir viel angehäuft haben, machen wir uns vielleicht auf in die Wüste, weil wir uns fragen: Gibt es da nicht doch etwas, was mir fehlt?  Was mein Inneres ausfüllt, meine Seele. Weil vieles, was wir tun, ja vielleicht etwas seelenlos ist.

 

Interview: Catharina Aanderud, erschienen in EMOTION 2012

 

 

Buchtipp

Achill Moser: Das Glück der Weite. Fünf Jahre in den Wüsten der Welt. Hoffmann & Campe 2009, € 19,95